SPD Oberndorf

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Hans Jörg Fahrner spricht zum Volkstrauertag

Veröffentlicht am 16.11.2015 in Fraktion

Schramberg. Der Vorsitzende der Fraktionsgemeinschaft SPD/Buntspecht, Hans Jörg Fahrner, hat zum Volkstrauertag 2015 in Heiligenbronn in seiner Funktion als OB-Stellvertreter gesprochen.

Sehr geehrter Herr Pfarrer Albrecht,

ehrwürdige Schwestern des Klosters,

sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung St. Franziskus,

liebe Kirchengemeinde St. Gallus,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Terroranschläge Freitagnacht in Paris haben über 120 Menschenleben und viele Verletzte gefordert. Uns erschüttert das hasserfüllte, kaltblütige und sinnlose Morden. Dem gegenüber steht eine von humanen Werten geprägte Welt, wie sie im gleichzeitig stattfindenden Freundschaftsspiel der französischen und deutschen Fußballnationalmannschaft zum Ausdruck kommt. Der Gegensatz kann größer nicht sein.

Unsere Trauer und unser Mitgefühl gehören in diesen bitteren Stunden den betroffenen Familien und ihren Angehörigen. Wir trauern mit unseren französischen Freunden und mit allen Menschen, die sich der Humanität, Freiheit und Gerechtigkeit verpflichtet fühlen und sich für eine friedliche Welt einsetzen.

Durch die Anschläge von Paris und Beirut hat der heutige Volkstrauertag eine bittere Aktualität.

Vor 70 Jahren ging der zweite Weltkrieg zu Ende. 55 Millionen Menschen verloren dabei ihr Leben. Auch zwei Generationen danach sind die Wunden nicht verheilt.

In Fotoalben aus dieser Zeit treffen wir auf Familien mit jungen Menschen voller Hoffnung und Lebensglück.

Wir sehen sie beim Wandern, im Sport- oder Musikverein, mit Freundin oder Freunden in geselliger Runde und im trauten Familienkreis. Wenige Seiten später stecken dieselben Jugendlichen in Unformen verschiedener Waffengattungen. Bilder vom Transport an die Front, lösen Fotos mit unbekannten Kameraden während einer Feuerpause ab. Weitere Bilder fehlen nur all zu oft.

Die Anzeigen: „Gefallen zwischen 1. September 1939 und 8. Mai 1945 auf irgend einem Schlachtfeld in West, Ost, Nord oder Süd“, lösen noch immer Trauer und Schmerz aus. Sie erstrecken sich auf die Vermissten und diejenigen, die die Gefangenschaft nicht überlebten.

Ausgelöscht, die Träume der Jugend,
ausgelöscht, die Hoffnung auf Heimkehr,
ausgelöscht, der Glaube an die
Versprechungen der Verantwortlichen.

Wir beklagen die sinnlosen Opfer.

Die abgebrochene Bilderreihe offenbart immer wieder aufs Neue das Schicksal und den Schmerz um die beklagten Toten. Sie stehen dem verbrecherischen Regime, das das Morden in Gang gesetzt hat, entgegen.

Nur wenige Jahre zuvor ging in den Novembertagen 1918 der erste Weltkrieg zu Ende. Die Euphorie, mit der junge Menschen 1914 in den Krieg zogen, war längst verflogen.

2 Mio. deutsche Soldaten bezahlten mit ihrem Leben. Nahezu 10 Mio. Tote und Vermisste hat der 1. Weltkrieg  gefordert. Sie alle wurden Opfer einer Politik, die nach Weltmacht strebte und im Krieg ihr Ziel sah.

Chaos, Leid und Elend überschatteten den Zusammenbruch des Kaiserreichs. Dafür musste nun die Weimarer Demokratie die Verantwortung übernehmen.

Als der 2.Weltkrieg endete, waren 55 Mio. Tote zu beklagen, zerstörte Städte, Verlust der Heimat, Not, Elend, Flucht und Vertreibung waren zur Realität für viele Menschen geworden.

Über 120 Millionen Menschen verloren weltweit in beiden Weltkriegen Leben und Gesundheit. Unendliches Leid war die Folge.

Denjenigen, die den Krieg als Soldat überlebt haben, waren ihrer Jugend beraubt. Für viele wurde das Erlebte zu einem Trauma, das sie nicht mehr los ließ.

Millionenfacher Mord, begangen aus rassistischer und ideologischer Verblendung, klagt an.

Das, was in deutschem Namen geschehen war, unterlag nach dem Krieg oftmals der Verdrängung und der Trauer um die eigenen Opfer. Für die Überlebenden rückte der tägliche Kampf ums Überleben allzu oft in den Vordergrund.

Wer die Vergangenheit verdrängt, setzt sich der Gefahr aus, immer wieder von ihr eingeholt zu werden.

Am Volkstrauertag gedenken wir der Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft.

Die Namen der Opfer sind uns eine bleibende Mahnung. Im Blick zurück bleibt die Trauer. Gleichzeitig erwächst daraus die Verpflichtung unser heutiges Tun und Unterlassen zu hinterfragen.

Im Hinblick auf die Schrecken des ersten Weltkriegs gründete sich 1919 der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Mit einem vom ganzen Volk begangenen Trauertag sollte den Gefallenen ein ehrendes Gedenken „im Herzen des deutschen Volkes gesetzt werden.“

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräber-fürsorge trägt durch seine Arbeit dazu bei, den Toten ihren Namen zurückzugeben und sie in Sammelfriedhöfe umzubetten. Er tritt über die Gräber hinweg für Verständigung und Aussöhnung ein.

Bei der Pflege und Einrichtung der Soldatenfriedhöfe sollen junge Menschen die Folgen des Krieges besser verstehen und erkennen, wie wichtig es ist, für den Frieden zu arbeiten.

Dieser Friedenswille traf in der Weimarer Republik auf eine breite Front der Ablehnung. Weite Teile des bürgerlichen Lagers bezeichneten den Versailler Vertrag als Schanddiktat, und bezichtigten die unterzeichnende deutsche Regierung des Verrats.

Zusammen mit rechtsgerichteten- und nationalistischen Kreisen, Reichwehr und Freikorps, Rüstungsindustrie und einer Hetzpresse wurde der Boden für die folgende NS-Diktatur bereitet.

Dem rassistischen Gedankengut waren Friedenswille und Toleranz fremd. Der Volkstrauertag wurde zum Heldengedenktag umfunktioniert und der nationalsozialistischen Ideologie untergeordnet.

Die Gleichschaltung und Verfolgung Andersdenkender, die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung sowie der Sinti und Roma, gingen mit den Verbrechen an Behinderten und Kranken einher.

Die Verfolgung und die Verbrechen machten auch vor Heiligenbronn nicht halt.

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt bis heute, dass die Geisel des Kriegs immer  wieder von neuem zuschlägt. Afghanistan, Jemen, Syrien und viele Regionen Afrikas machen uns bewusst, dass die Schrecken des Krieges jederzeit wiederkehren können.

Mutwillig losgetretene Kriege, wie im Irak, zerstören fragile Staatengebilde. Sie bieten IS, Taliban, Boko Haram, oder wie sie sich sonst noch nennen, die Basis für ihren menschenverachtenden Terror.

Staatliche Strukturen wie in Syrien, Libyen und vielen Teilen Afrikas zerbrechen und nehmen den Menschen jegliche Lebensgrundlage.

Flucht ist für derzeit 60 Millionen Menschen auf unserer Erde die einzige Hoffnung zu überleben.

Die Flüchtlingslager in der Nähe der betroffenen Gebiete müssen mit einem Bruchteil der von der Weltgemeinschaft zugesagten Hilfe auskommen.

Als einziger Weg bleibt oft nur, in untaugliche, überfüllte Boote zu steigen, um über das Mittelmeer oder auf anderen mühsamen Strecken das seit 70 Jahren im Frieden lebende Europa zu erreichen.

Nach Deutschland werden in diesem Jahr ca. 1 Million Flüchtlinge kommen.

Die Willkommenskultur der ehrenamtlich gebildeten Netzwerke, mit denen man in Schramberg, im Landkreis und vielerorts in Deutschland Flüchtlingen tatkräftig unter die Arme greift, ist eine Ermutigung zum Engagement und ein Zeichen großer Hilfsbereitschaft und Solidarität.

Täglich neue Vorstöße der verantwortlichen Politiker verunsichern die Menschen.

Die Unterbringung und Integration brauchen einen langen Atem und Geduld. Der verstorbene Bundespräsident Rau hat in seiner Berliner Rede 2000 gesagt: „Zuwanderung ist stets beides: Belastung und Bereicherung.“

Abgrenzung, Fremdenhass und nationalistische Bestrebungen geben bei uns und in vielen europäischen Staaten Anlass zur Sorge. Sie gefährden die Integration und den Zusammenhalt in Europa in einem kaum für möglich gehaltenen Ausmaß.

Der europäische Einigungsprozess hat dafür gesorgt, dass aus Erbfeinden Freunde wurden und der Zusammenarbeit Vorrang eingeräumt wird. Deshalb leben wir seit 70 Jahren in Frieden, Sicherheit und Wohlstand.

Die Flüchtlingskrise offenbart, dass ein Auseinanderbrechen und Scheitern der Europäischen Union denkbar erscheint.

Wir müssen erleben, dass die Stimmen, die ein Vereintes Europa in Frage stellen, zunehmen. Damit wachsen unübersehbar die Gefahren, dass diese friedenschaffende Gemeinschaftsleistung verspielt werden könnte.

Rechtsextreme Einstellungen treten offen zutage. Aufrufe zu Hass und einfache populistische Antworten gewinnen Zulauf.

Uns erschüttert, wenn Flüchtlingsunterkünfte angezündet oder Jugendliche in ihrem Hass unvermittelt Menschen angreifen. Dem muss die Zivilgesellschaft Einhalt gebieten und mit allen rechtstaatlichen Mitteln entgegentreten.

Krieg, als Ursache von Flucht und Vertreibung, ist für unser Volk eine schmerzliche Erfahrung des 2. Weltkriegs. Die Flüchtlinge, die heute zu uns kommen, mögen uns daran erinnern.

Kriege gründen in dem Glauben an die eigene Überlegenheit. Sie werden genährt durch den weltweit rasant steigenden Export von Waffen, auch durch Betriebe in unserer Region.

Kardinal Woelki stellte hierzu dieser Tage fest: „Wir exportieren Waffen in einem großen, noch nicht dagewesenen Umfang. Ca. 100 000 Deutsche arbeiten für den Export von Kriegsgütern. Und wir wundern uns dann, wenn einige Opfer von Gewalt an unsere Tür klopfen.“ (Zitatende)

Die USA, als größten Rüstungsexporteur der Welt, forderte Papst Franziskus bei seinem Besuch im Kongress in Washington auf: (ich zitiere) „ das beschämende schuldhafte Schweigen über die Waffenlieferungen zu beenden.“(Zitatende)

Die ökumenische Friedensdekade, die wir am vergangenen Sonntag auch in Schramberg eröffnet haben, steht dieses Jahr unter dem Leitgedanken: Grenzerfahrungen.

Angesichts der Zäune und Mauern, die in verantwortlichen Köpfen erdacht und an Landesgrenzen errichtet werden, sind Grenzerfahrungen besonderer Art. Für Flüchtlinge sind diese Abschottungs-versuche immer mehr reale Erfahrung.

Hierzu sagt Papst Franziskus in seiner klaren Sprache: „Sie wissen doch, welches Ende Mauern nehmen: Alle Mauern stürzen ein! Heute, morgen oder nach hundert Jahren. Die Mauer ist keine Lösung.  Es stimmt, dass Europa im Moment in Schwierigkeiten ist, aber wir müssen intelligent sein und im Dialog der Länder untereinander eine Lösung suchen. Nicht Mauern, sondern Brücken sind immer eine Lösung,“ so Papst Franziskus.

Der Friede ist fragiler geworden. Ihn zu bewahren, zu beschützen und aktiv für Frieden einzutreten, ist deshalb unsere gemeinsame Aufgabe.Dass uns dies gelingen möge, ist unsere gemeinsame Hoffnung.

In der Erinnerung an die Millionen Opfer von Kriegen und Gewalt behält der Volkstrauertag seine bleibende Bedeutung.Er ist eine dauerhafte Mahnung, alles zu tun, Frieden und Gerechtigkeit in der Welt zu stärken.

Lassen Sie mich zum Schluss das Totengedenken sprechen, wie es für den Volkstrauertag bestimmt ist und das uns verbindet mit den Trauerfeiern an anderen Orten:

Wir denken heute
an die Opfer von Gewalt und Krieg an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken
der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,

der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,
die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern
um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten und andere Einsatzkräfte, die im Ausland ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer,
die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und SchwacheOpfer geworden sind.

Wir trauern
mit allen die Leid tragen, um die Toten.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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